Sonntag, September 10, 2006

Am Dümmer

Ich bin am Dümmer. Das einzige was hier die Sicht behindert ist der Horizont. Oder eine Hecke, oder ein Feldgehölz, wenn man direkt davor steht. Schaut man sich um, sieht man vor allem eins: Himmel. Himmel soweit das Auge reicht. Himmel mal blau, mal weiß, meist jedoch blau-weiß dekoriert mit unzählbar vielen Wolkenvariationen. Wolken soweit das Auge reicht. Und das Auge reicht bis zum Horizont.
Der Wind ist hier anders. Nur an der Küste gibt es einen Wind, der so ähnlich ist wie hier. Er hat Charakter. Er ist berechenbar und launisch. Aber immer groß. Man hat nie das Gefühl, dass es sich bei diesem Wind um ein einzelnes Stück Luft in Bewegung handelt , sondern er drückt stets seine gesamte Masse über das dunkelgrüne Tiefland und in jede nicht luftdicht verschlossene Ritze. Wenn er weht. Der Wind hat seine Arbeitszeiten. Er steht mit der Sonne auf und bläst dann beständig aus einer Richtung, bis er pünktlich nachmittags die Richtung ändert und Abends abflaut. Nachdem das westliche Ufer des Sees die Sonne geschluckt hat, nistet sich der Wind zur Nacht in den Hecken der Niederungen ein und lässt nur noch hier und dort schlaftrunken ein Blättchen erzittern. Der Dümmer liegt dann wie eine blanke, bleierne Scheibe in der Landschaft und spiegelt behutsam das Schilf und die Nachtwolken.

Meine Pirschgänge hier waren wohl die letzten für nun längere Zeit. Ich werde mir einfach merken wie die Morgenstunden hier sind, wenn man sich mit leicht offenem Mund und flachem Atem an die wachsamen Stockenten in den Wassergräben heranschleicht.
Wenn feuchtkühle, nach Torf und modernden Binsen duftende Morgenluft die Müdigkeit von einem abbröckeln lässt.
Wenn die kaltglühende Morgensonne sich mühsam aus dem Frühdunst befreit, die zähen Schwaden des Bodennebels in ein bronzenes Licht taucht und die abermilliarden Tautropfen an den Grashalmen der nassen Wiesen metallisch funkeln lässt.
Wenn man selbst in diesem glitzernden Meer eine klatschgrüne Spur hinterlässt und dabei herrlich feuchte Hosenbeine und köstlich klamme Finger bekommt.
Wenn der Schof Enten, eben noch unauffällig an der Wasserkante dümpelnd, plötzlich wie ein Feuerwerkskörper mit lautem Geschnatter zerplatzt sobald er einen bemerkt und die farbenprächtigen Gefieder der Vögel und die umherstiebenden Wassertropfen in der tiefstehenden Sonne leuchten.

Wie wohlig ist es dann aber auch, mit frischen Brötchen in die warme Stube unter dem Reetdach zurückzukehren. Wo, seit ich denken kann, in der Stille des uralten Fachwerkes die stets sorgsam aufgezogene Wanduhr aus blau-weißem Porzellan gleichmütig vor sich hintickt.
Ich bin am Dümmer, wenn dann der Wind die knorrige, unseren Kotten überschirmende Kastanie aufrauschen lässt und mich auffordert, weiterhin nichts von diesem wunderbar wolkigen Tag zu versäumen.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hab grad in deinen Flickr-Account geschaut... mann, machst du viele Fotos!

Anonym hat gesagt…

Gut, ne? :) Naja. Ohne die Alpenüberquerung wären's aber nur halb so viele...